Weltweit sind in der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas Fälle von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen bekannt geworden. Die staatlichen Kommissionen einiger Länder wie Australien und Großbritannien haben bereits Aufarbeitungsprojekte durchgeführt. In Ländern wie etwa den Niederlanden wurden wissenschaftliche Untersuchungen begonnen. Betroffene, die Mitglieder der Zeugen Jehovas waren, haben sich auch an die deutsche Kommission gewandt und von sexuellem Kindesmissbrauch innerhalb der Gemeinschaft und deren Umgang mit Betroffenen berichtet.
Berichte über sexualisierte Gewalt bei den Zeugen Jehovas
Ehemalige Mitglieder der Zeugen Jehovas sowie Zeitzeug*innen haben sich der Kommission anvertraut und in Gesprächen, vertraulichen Anhörungen oder schriftlich von sexualisierter Gewalt in Kindheit oder Jugend in der Glaubensgemeinschaft berichtet. Um weitere Informationen zu diesem Bereich zu erhalten, hat sich die Kommission im vertraulichen Rahmen mit verschiedenen Expert*innen über sexuellen Kindesmissbrauch bei den Zeugen Jehovas ausgetauscht. Im Mittelpunkt der Gespräche standen vor allem Strukturen, die die Prävention sowie die Aufdeckung und Verfolgung von sexualisierter Gewalt aus Sicht der Gesprächspartner*innen erschweren oder verhindern können.
Hintergrund von sexuellem Kindesmissbrauch
Die Zeugen Jehovas sind eine nach außen abgeschlossene Glaubensgemeinschaft. Innerhalb der Organisation werden Disziplinarverfahren unter anderem aufgrund von Straftaten durchgeführt. Den Berichten von Betroffenen sowie von Zeitzeug*innen zufolge könnte dies mit dazu beitragen, dass Vorfälle und Maßnahmen nicht öffentlich gemacht und auch nicht öffentlich aufgeklärt werden.
Berichte über Zwei-Zeugen-Regel
Betroffene sowie Zeitzeug*innen berichteten, dass die Aufklärung sexuellen Kindesmissbrauchs zumindest in der Vergangenheit auch durch die Zwei-Zeugen-Regel erschwert worden sei. Wenn ein Täter oder eine Täterin nicht geständig ist, besagt diese Regelung, dass außer der oder dem Betroffenen mindestens eine weitere Person bestätigen muss, dass sich die Tat ereignet hat. Da es bei sexuellem Missbrauch in der Regel jedoch keine weiteren Zeug*innen gibt, kann dieser Nachweis kaum erbracht werden.
Soweit es keine zweite Zeugin oder keinen zweiten Zeugen gegeben habe, seien die Ältesten, also Männer, die die Gemeinden der Zeugen Jehovas leiten, angewiesen worden, die Angelegenheit in Jehovas Hände zu geben. Das habe bedeutet, dass oft nichts getan worden sei, um der Sache weiter nachzugehen; dass dem Kind nicht geglaubt worden sei; dass es keine wirksame Hilfe bekommen hätte und nach den Regeln der Zeugen Jehovas ab sofort darüber zu schweigen habe. Das habe auch für die Eltern gegolten. Wenn diese die Sache nicht auf sich beruhen lassen wollten und weiter nachgefragt hätten, hätten sie oft als rebellisch gegolten und der Familie habe der Ausschluss aus der Gemeinschaft gedroht.
Unklar sei, ob diese Regelung heute offiziell weiter gelte bzw. intern weiter Anwendung finde: Nach Aussagen von Zeitzeug*innen sei in einem streng vertraulichen Regelwerk der Leitung der Zeugen Jehovas, dem „Buch der Ältesten“, der Umgang mit Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs beschrieben. Danach bestünden konkrete Hinweise, dass die Zwei-Zeugen-Regel bis heute angewendet werde.
Die Kommission führte am 12.11.2021 ein Gespräch mit der Leitung der Zeugen Jehovas. Dabei erläuterte die Leitung, dass bei der Anwendung der Zwei-Zeugen-Regel zu differenzieren sei: Die Regel finde ausschließlich in dem kirchenrechtlichen Verfahren Anwendung. In diesem Verfahren werde von einem Rechtskomitee geprüft, welche Maßnahmen geboten seien und ob der Täter oder die Täterin Mitglied der Gemeinschaft bleiben könne. Außerhalb des kirchlichen Verfahrens spiele die Zwei-Zeugen-Regel keine Rolle, insbesondere nicht im Umgang mit den Betroffenen. Deren Anwendung habe keine Auswirkungen darauf, ob den Betroffenen (außerhalb des kirchlichen Verfahrens) geglaubt werde.
Die von der Regierung Großbritanniens eingesetzte Inquiry into Child Sexual Abuse (IICSA) vertritt in ihrem Berichtvon September 2021 die Auffassung, dass die Zwei-Zeugen-Regel keine angemessene Reaktion auf sexuellen Missbrauch von Kindern sei. Die Regel werde der Tatsache nicht gerecht, dass sexueller Missbrauch von Kindern naturgemäß meist in Abwesenheit von Zeugen verübt werde. Es liege auf der Hand, dass die Zwei-Zeugen-Regel den Opfern und Überlebenden von sexuellem Kindesmissbrauch Schaden zufügen könne. Das interne Disziplinarverfahren der Zeugen Jehovas für den Ausschluss von Mitgliedern habe in seiner jetzigen Form nichts mit der Art und Weise zu tun, wie Sexualverbrechen geschehen. Dies zeige eine Missachtung der Schwere der betreffenden Taten und ihrer Auswirkungen auf den Einzelnen. Es lasse auch das Mitgefühl für das Opfer vermissen und diene dem Schutz des Täters.
Meine Eltern haben mich für ihre Religion verkauft. Sie haben nach der Aufdeckung keine Nachsorge betrieben. Ich habe mich mithilfe einer Therapie und eines Netzwerkes zum Sektenausstieg vom Kult gelöst. Jetzt bin ich kein schweigendes Opfer mehr. Ich habe Würde. Ich bin jemand.
Betroffene
Aktivitäten der Kommission
Treffen mit Zeugen Jehovas zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs
16.11.2021 –Mitglieder der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs trafen sich zu einem Austausch mit den Zeugen Jehovas, um über den Umgang mit zurückliegenden Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs und die Aufarbeitung in der Glaubensgemeinschaft zu sprechen.
Sexueller Kindesmissbrauch bei den Zeugen Jehovas – Die neunten Werkstattgespräche
04.12.2020 –Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs sprach am 24. November 2020 im vertraulichen Rahmen mit Expertinnen und Experten über sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche bei den Zeugen Jehovas.
Was können Betroffene über sexuellen Kindesmissbrauch bei den Zeugen Jehovas berichten?
19.05.2022 – Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs untersucht auch sexualisierte Gewalt bei den Zeugen Jehovas. Sie hat einen Aufruf an Betroffene sowie Zeitzeug*innen gestartet, sich bei ihr zu melden und von ihren Erfahrungen zu berichten.
Vor acht Jahren bin ich bei den Zeugen Jehovas ausgestiegen. Der Auslöser war Kindesmissbrauch. Und zwar nicht, weil er passiert ist, das kann ja überall passieren, sondern wegen des Umgangs mit den Opfern.
Betroffene
Geschichte einer Betroffenen von sexueller Gewalt bei den Zeugen Jehovas
Mia war Mitglied in der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas. Dort hat sie als Kind sexuelle Gewalt erfahren. In ihrer Geschichte beschreibt sie auch, wie die Gemeinschaft damit umgegangen ist, als die Taten bekannt wurden. Wir möchten darauf hinweisen, dass die Berichte zum Teil Schilderungen enthalten, die verstörend sein können. Einige Worte oder Beschreibungen können Erinnerungen und negative Gefühle auslösen.
Mias Geschichte auf dem Portal „Geschichten, die zählen“
Wie können Sie der Kommission von sexuellem Kindesmissbrauch berichten?
Sie haben die Möglichkeit, in einer vertraulichen Anhörung in geschützter Atmosphäre über ihre Erfahrungen zu sprechen oder einen schriftlichen Bericht zu verfassen. Wir bieten alternativ zum Gespräch vor Ort die Möglichkeit an, online per Video die vertrauliche Anhörung durchzuführen. Wenn Sie dazu Fragen haben oder sich genauer über die Arbeit der Kommission informieren möchten, können Sie zusätzlich beim Infotelefon Aufarbeitung anrufen.
Was ist sexueller Kindesmissbrauch? Welche Formen von sexuellem Kindesmissbrauch gibt es? Und wie ist sexueller Kindesmissbrauch im Strafrecht definiert?
Informationen über sexuellen Kindesmissbrauch bei den Zeugen Jehovas in anderen Ländern
Die von der australischen Regierung beauftragte Royal Commission führte ab 2013 die bislang wohl umfassendste Untersuchung zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche u.a. in der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas durch. Dabei wurden Betroffene und Verantwortliche der Zeugen Jehovas befragt sowie interne Datenbanken und Akten der Organisation in Australien untersucht. Die Dokumente bezogen sich auf mindestens 1.800 Betroffene. Genannt wurden über 1.000 mutmaßliche Täter.
Es fanden sich keine Beweise, dass die Fälle bei der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas der Polizei oder anderen zivilen Behörden gemeldet wurden. Betroffene berichteten, dass Täter und Betroffene gemeinsam einem Ältestenkomitee gegenübergestellt wurden und zu den Vorwürfen Stellung nehmen mussten. Aus den Berichten der Betroffenen ging außerdem hervor, dass die Zwei-Zeugen-Regel angewendet wurde. Das bedeutet: Nur wenn der Täter gestand oder es einen zweiten Zeugen gab, wurde der Missbrauch von dem Ältestenkomitee als Fehlverhalten gewertet. Betroffene berichteten zudem, dass sie von „Ältesten“ angewiesen wurden, mit niemandem über den Vorfall zu sprechen und dass sie gemieden oder geächtet wurden, wenn sie versuchten, die Gemeinschaft zu verlassen.
Im Rahmen der Auswertungen wurden Auszüge aus einer Ausgabe des „Buchs der Ältesten“ veröffentlicht. Diese enthalten u.a. die Anweisung, dass die Zwei-Zeugen-Regel im Zusammenhang mit dem Nachweis von „Fehlverhalten“ angewendet werden solle.
Die Royal Commission folgerte in ihrem Abschlussbericht, dass die Strategien und Praktiken der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas im Umgang mit sexuellem Kindesmissbrauch in Gänze unangemessen, ungeeignet und veraltet seien. Dass Maßnahmen der Organisation wie beispielsweise die Zwei-Zeugen-Regel auch in Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch beibehalten und angewendet würden, zeige einen ernsthaften Mangel an Verständnis von der Natur des sexuellen Kindesmissbrauchs. Die Kommission forderte die Zeugen Jehovas dazu auf, strukturelle Bedingungen zu ändern, die sexuellen Kindesmissbrauch und dessen Vertuschung ermöglichen. So solle die Zwei-Zeugen-Regel abgeschafft werden und Frauen in den internen Disziplinarverfahren vertreten sein. Sollten Menschen die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas aufgrund der Gewalterfahrungen verlassen, dürften sie nicht geächtet werden.
Vertreter der Zeugen Jehovas wurden von der Royal Commission gehört. Ihre Stellungnahmen wurden in den Abschlussbericht aufgenommen.
Im März 2017 befasste sich die Royal Commission in einem öffentlichen Hearing mit den seinerzeitigen aktuellen Richtlinien und Verfahren der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas in Australien in Bezug auf den Schutz und die Sicherheit von Kindern. Die Reaktionen der Zeugen Jehovas auf Vorwürfe des sexuellen Kindesmissbrauchs wurden im Hearing ebenfalls behandelt.
Die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas ist erst nach mehrfacher Aufforderung der Royal Commission im Jahr 2021 dem nationalen Entschädigungsfonds beigetreten, der Betroffene sexuellen Kindesmissbrauchs in Institutionen unterstützt. Andernfalls wäre der Gemeinschaft möglicherweise der Status der Wohltätigkeit aberkannt worden.
In Belgien wurde 2019 von der Organisation CIAOSN (Centre d’information et d’avis sur les organisations sectaires nuisibles) und in verschiedenen Medien über den Umgang mit sexuellem Kindesmissbrauch bei den Zeugen Jehovas berichtet. Im Anschluss leitete die föderale Staatsanwaltschaft eine Untersuchung wegen Nichtanzeige von sexuellem Missbrauch gegen die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas ein. Im Oktober 2021 wurden die Ermittlungen aus Mangel an Beweisen eingestellt.
Die Organisation Reclaimed Voices richtete 2019 eine Anlaufstelle für Betroffene sexuellen Kindesmissbrauchs bei den Zeugen Jehovas und anderen geschlossenen Gemeinschaften ein. Noch im selben Jahr meldeten sich dort 90 Betroffene und berichteten, in Kindheit oder Jugend in der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein.
Bereits Ende der 1990er-Jahre gab es in Frankreich zwei Strafverfahren gegen „Älteste“ und Mitglieder der Zeugen Jehovas, weil Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs nicht den staatlichen Behörden gemeldet wurden. Die Beschuldigten wurden zu einer bedingten Haftstrafe bzw. zu Geldstrafen verurteilt.
Im Jahr 2019 wurde in Kanada eine Sammelklage gegen mehrere Einrichtungen der Zeugen Jehovas zugelassen. Der Vorwurf lautet u.a., dass die Gemeinschaft es versäumt habe, Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen und Betroffene davon abgehalten habe, die Taten den staatlichen Behörden zu melden. Im Dezember 2020 wies das Oberste Gericht von Quebec die Berufungen der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas gegen die Zulassung der Sammelklage zurück. Eine Entscheidung in dieser Sache steht noch aus.
Charity Commission In Großbritannien leitete 2014 die Charity Commission Untersuchungen gegen Versammlungen der Zeugen Jehovas (Manchester New Moston und Watch Tower Bible and Tract Society of Britain – WTBTS) ein, weil diese in Fällen von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche nicht angemessen gehandelt hätten.
Im Abschlussbericht der Charity Commission vom 26. Juli 2017 zu den Untersuchungen gegen die Versammlung Manchester New Moston wird festgestellt, dass die Versammlung nicht angemessen mit den Vorwürfen des Kindesmissbrauchs umgegangen sei, die in den Jahren 2012 und 2013 gegen ein Gemeindemitglied erhoben wurden. Sowohl in ihrer Reaktion auf die Missbrauchsvorwürfe als auch in ihrer Haltung gegenüber der geführten Untersuchung der Charity Commission habe die Versammlung nicht dem entsprochen, was von Verantwortlichen einer Wohltätigkeitsorganisation – welche die Gemeinden in Großbritannien darstellen – in einer modernen Gesellschaft erwartet werde, auch wenn im Laufe der Untersuchungen Richtlinien und Verfahren der Versammlung im Umgang mit Anschuldigungen von Fehlverhalten verbessert worden seien. Betroffene von sexuellem Kindesmissbrauch seien nunmehr nach den Richtlinien nicht (mehr) verpflichtet, ihre Anschuldigungen in Anwesenheit der mutmaßlichen Täterin oder des mutmaßlichen Täters vorzubringen. Festgestellt wird weiterhin, dass Schutzmaßnahmen zu ergreifen seien, um Gemeindemitglieder vor Personen zu schützen, die wegen sexuellen Kindesmissbrauchs verurteilt wurden.
Auch die gegen die WTBTS geführten Untersuchungen sind abgeschlossen mit dem Ergebnis, dass die Versammlung derzeit juristisch nicht direkt für die Sicherheit von Mitgliedern der Zeugen Jehovas, d.h. auch nicht von Kindern und Jugendlichen, verantwortlich ist. Das Verhalten der WTBTS während der laufenden Untersuchung wird kritisiert. Es kann aber nicht festgestellt werden, dass WTBTS vorsätzlich versucht hat, die lange andauernden Untersuchungen zu behindern.
Independent Inquiry into Child Sexual Abuse Von 2018 bis 2021 untersuchte die von der Regierung Großbritanniens eingesetzte Kommission Independent Inquiry into Child Sexual Abuse (IICSA) ergänzend zu früheren Untersuchungen zur anglikanischen und römisch-katholischen Kirche auch sexuellen Kindesmissbrauch in 38 in England und Wales aktiven religiösen Organisationen, u.a. bei den Zeugen Jehovas. Es wurden Aussagen von Betroffenen und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen eingeholt.
In ihrem im September 2021 veröffentlichten Bericht stellte die Kommission fest, dass die Zwei-Zeugen-Regel als Reaktion auf sexualisierte Gewalt an Kindern unangemessen sei und nicht der Tatsache gerecht werde, dass sexueller Kindesmissbrauch in den meisten Fällen nicht in Anwesenheit von Zeugen verübt werde. Es liege auf der Hand, dass Betroffenen sexuellen Kindesmissbrauchs durch diese Regelung Schaden zugefügt werden könne. Betroffene hätten dies gegenüber der Kommission bestätigt.
Das interne Disziplinarverfahren der Zeugen Jehovas, in dem über den Ausschluss von Mitgliedern entschieden und bei dem die Zwei-Zeugen-Regel angewandt werde, berücksichtige nicht, wie sexueller Missbrauch in der Realität stattfinde. Durch die Zwei-Zeugen-Regel werde sowohl die Schwere der Missbrauchstaten als auch deren Auswirkungen auf die Betroffenen verkannt. Die Regel diene dem Schutz der Täterin oder des Täters.
Die Zeugen Jehovas gaben gegenüber der IICSA eine Stellungnahme zur internen Zwei-Zeugen-Regel ab. Danach diene diese ausschließlich der Entscheidung, ob die oder der Beschuldigte aus der Gemeinschaft auszuschließen sei und beziehe sich ausschließlich auf den innerkirchlichen Prozess der Gemeinschaft. Die Kommission stellte hierzu fest, dass es unbedingt erforderlich sei, dass diese Differenzierung in den internen Richtlinien und Praktiken deutlich hervorgehoben werde. Ansonsten könne der ausreichende Schutz der Kinder nicht gewährleistet werden.
Weiterhin stellte die IICSA fest, dass der Kinderschutz der Zeugen Jehovas im Wesentlichen auf vier Kerndokumenten beruhe, die in religiösen Texten wurzeln. Zur Prävention und zum Schutz seien diese Hinweise unzureichend. Die schriftlichen Vorgaben, die von allen Mitgliedern der Gemeinden der Zeugen Jehovas eingesehen werden sollen, enthielten keine praktische Anleitung, um Anzeichen eines Missbrauchs zu erkennen. Auch enthielten entsprechende Ausführungen in der Ausgabe des „Wachtturms“ vom Mai 2019 keine Informationen darüber, wie Anhaltspunkte für einen sexuellen Kindesmissbrauch gegenüber gesetzlichen Behörden mitgeteilt bzw. angezeigt werden könnten. Weitere Dokumente mit ausführlicheren Informationen würden nicht an alle Gemeindemitglieder weitergegeben.
Die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas beruft sich auf den Bericht eines unabhängigen Beraters, um ihre Maßnahmen für einen angemessenen Kinderschutz zu belegen. Dieser Bericht wurde in einer laufenden rechtlichen Auseinandersetzung erstellt. Auch nach Vorlage des Berichts hielt die IICSA ihre Auffassung aufrecht, wonach der Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas unangemessen sei.
Weitere Meldungen von Betroffenen Die Tageszeitung The Guardian vermeldete im Jahr 2018, dass sich bei der Redaktion innerhalb kurzer Zeit rund 100 Personen gemeldet hätten, die von sexuellem Kindesmissbrauch und anderen Misshandlungen in der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas in Großbritannien berichteten. U.a. seien Betroffene von „Ältesten“ der Zeugen Jehovas angewiesen worden, über Taten sexuellen Missbrauchs zu schweigen und diese nicht zu melden. Zudem wurden Versäumnisse im Umgang mit Betroffenen sexuellen Kindesmissbrauchs beklagt sowie fehlende Unterstützung in Form von finanziellen Entschädigungen und psychologischer Hilfe.
Die Organisation Reclaimed Voices setzt sich seit 2017 für Betroffene sexuellen Kindesmissbrauchs in den Niederlanden ein. 2018 gab die Organisation bekannt, dass sich mehrere hundert Menschen an sie gewandt hätten, die innerhalb der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas als Kinder oder Jugendliche sexuell missbraucht worden seien. Mitte 2018 beauftragte die niederländische Regierung die Universität Utrecht mit einer Untersuchung zu sexuellem Kindesmissbrauch bei den Zeugen Jehovas und zur Geheimhaltungskultur der Gemeinschaft.
Es wurde ein öffentlicher Aufruf an Betroffene sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gestartet und eine Anlaufstelle eingerichtet. Im Januar 2020 veröffentlichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Bericht, dessen Grundlage neben Online-Meldungen auch Interviews und Gespräche mit Betroffenen und Angehörigen, mit dem Vorstand der Zeugen Jehovas in den Niederlanden und einem Vertreter des Exekutivrats in den USA sowie mit der Organisation Reclaimed Voices waren.
Im Rahmen der Untersuchung wurden rund 750 Berichte ausgewertet, die bei einer digitalen Kontaktstelle gemeldet wurden. Dabei verfolgte die Untersuchung nicht das Ziel, die Wahrheit zu ermitteln, sondern über die Erfahrungen von Betroffenen im Umgang der Gemeinschaft mit sexuellem Kindesmissbrauch zu informieren. Die Ergebnisse zeigten auf, dass die Geschlossenheit der Gemeinschaft dazu führe, dass Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs nicht ausreichend aufgeklärt würden. Einerseits werde Betroffenen von Verantwortlichen der Zeugen Jehovas angeraten, die Taten nicht bei der Polizei anzuzeigen. Andererseits ziele die interne Gerichtsbarkeit der Gemeinschaft mit ihren Maßnahmen darauf, die Organisation und damit auch die Täter zu schützen und diese in der Gemeinschaft zu halten. Die Betroffenen dagegen erhielten keine Hilfe. Sie fühlen sich ignoriert, stigmatisiert und isoliert. Zwar habe der niederländische Vorstand der Zeugen Jehovas Maßnahmen ergriffen, um die Situation von Betroffenen zu verbessern. Dies sei von den befragten Personen anerkannt, aber als unzureichend gewertet worden. Aus Sicht der Befragten lasse die Art und Weise, wie auf Fälle von sexuellem Missbrauch reagiert werde, weiterhin viel zu wünschen übrig.
Die Empfehlungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler umfassen verschiedene Maßnahmen: Die Opfer sollen eine angemessene Unterstützung und Anerkennung durch die Zeugen Jehovas erhalten. Die Gemeinschaft soll dafür Sorge tragen, dass Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs extern gemeldet bzw. Betroffene dabei unterstützt werden, eine polizeiliche Anzeige zu erstatten. „Älteste“ sollen im Umgang mit Betroffenen geschult werden. Eine interne Meldestelle soll eingerichtet werden, über deren Aktivitäten jährlich berichtet wird.
Die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas hatte per Eilantrag versucht, die Veröffentlichung der Studie zu verhindern. Dieser wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass das mit der Studie verfolgte Interesse die Einwände der Zeugen Jehovas überwiege, auch weil diese weitgehend unzutreffend seien.
Die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas hatte zudem gegen den die Niederlande Klage erhoben wegen diskriminierender Untersuchungen im Zusammenhang mit der Studie der Universität Utrecht. Die Klage wurde am 13.12.2023 abgewiesen.
Ein Urteil des Bezirksgerichts Zürich (Aktenzeichen: GG180259) sprach 2020 eine Sektenexpertin vom Vorwurf der üblen Nachrede frei. Sie hatte der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas u.a. vorgeworfen, dass die Geschlossenheit des Systems und der dogmatische Glaube der Gemeinschaft grundsätzlich sexualisierte Gewalt förderten, speziell an Kindern, und dass die Zwei-Zeugen-Regel sexuellen Kindesmissbrauch begünstige.
Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass aufgrund der bisher vorliegenden öffentlichen Berichte und Expertenmeinungen, insbesondere des „Final Report“ der Royal Commission in Australien, davon ausgegangen werden könne, dass die Aussagen der Sektenexpertin zumindest im Kerngehalt der Wahrheit entsprechen. Sie dürfe zumindest darauf vertrauen, dass diese Berichte der Wahrheit entsprechen.
Die Gemeinschaft ist gegen das Urteil nicht weiter vorgegangen. Ihre Vertreter äußerten gegenüber der Presse jedoch, dass die Behauptungen der Sektenexpertin weiterhin als diffamierend eingeschätzt würden.
Durch die Ermittlungen einer Rechtsanwaltskanzlei in Kalifornien im Jahr 2014 wurde bekannt, dass bei den Zeugen Jehovas eine Datenbank existiert, in der Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs erfasst werden. In mehreren gerichtlichen Verfahren gegen die Glaubensgemeinschaft wurde die Herausgabe von Daten aus dieser Datenbank angewiesen. Zweimal weigerten sich die Verantwortlichen der Zeugen Jehovas und wurden dafür gerichtlich mit Sanktionen belegt. In einem dritten Verfahren wurde das Dokument so stark geschwärzt, dass es nicht mehr lesbar war. Da alle Gerichtsverfahren im Jahr 2018 jeweils durch einen Vergleich endeten, konnte die Vorlage weiterer Dokumente von der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas bislang nicht erzwungen werden.
2020 leitete der Generalstaatsanwalt von Pennsylvania Untersuchungen durch eine Grand Jury ein, um Vorwürfen nachzugehen, die Verantwortlichen der Zeugen Jehovas hätten über einen langen Zeitraum gemeldete Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs vertuscht. Im Anschluss wurde im Zusammenhang mit den Untersuchungen der Grand Jury in mehreren Fällen Anklage gegen Mitglieder der Zeugen Jehovas erhoben.
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs möchte ihre Website fortlaufend verbessern. Dazu wird um Ihre Einwilligung in die statistische Erfassung von Nutzungsinformationen gebeten. Die Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden.
Welcher Dienst wird eingesetzt?
Matomo
Zu welchem Zweck wird der Dienst eingesetzt?
Erfassung von Kennzahlen zur Webanalyse, um das Angebot www.bmfsfj.de zu verbessern.
Welche Daten werden erfasst?
IP-Adresse (wird umgehend anonymisiert),
Gerätetyp, Gerätemarke, Gerätemodell,
Betriebssystem-Version,
Browser/Browser-Engines und Browser-Plugins,
aufgerufene URLs,
die Website, von der auf die aufgerufene Seite gelangt wurde (Referrer-Site),
Verweildauer,
heruntergeladene PDFs,
eingegebene Suchbegriffe.
Die IP-Adresse wird nicht vollständig gespeichert, die letzten beiden Oktette werden zum frühestmöglichen Zeitpunkt weggelassen/verfremdet (Beispiel:183.172.xxx.xxx).
Es werden keine Cookies auf dem Endgerät gespeichert. Wird eine Einwilligung für die Datenerfassung nicht erteilt, erfolgt ein Opt-Out-Cookie auf dem Endgerät, welcher dafür sorgt, dass keine Daten erfasst werden.
Wie lange werden die Daten gespeichert?
Die anonymisierte IP-Adresse wird für 90 Tage gespeichert und danach gelöscht.
Auf welcher Rechtsgrundlage werden die Daten erfasst?
Rechtsgrundlage für die Erfassung der Daten ist die Einwilligung der Nutzenden nach Art. 6 Abs. 1 lit. a der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Die Einwilligung kann auf der Datenschutzseite jederzeit widerrufen werden. Die Rechtmäßigkeit der bis zum Widerruf erfolgten Datenverarbeitung bleibt davon unberührt.
Wo werden die Daten verarbeitet?
Matomo wird lokal auf den Servern des technischen Dienstleisters, der ]init[ AG, in Deutschland betrieben (Auftragsverarbeiter).
Weitere Informationen:
Weitere Informationen zur Verarbeitung personenbezogener Daten finden sich in den Datenschutzhinweisen.