Sexueller Kindesmissbrauch bei den Zeugen Jehovas – Die neunten Werkstattgespräche (Teil 1)


04.12.2020 - Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs sprach am 24. November 2020 im vertraulichen Rahmen mit Expertinnen und Experten über sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche bei den Zeugen Jehovas.


Wichtige internationale Untersuchungen der letzten Jahre wie der Australischen Royal Commission, der Charity Commission und der Independent Inquiry into Child Sexual Abuse (IICSA) in Großbritannien oder der Universität Utrecht in den Niederlanden beschäftigten sich mit sexuellem Kindesmissbrauch bei den Zeugen Jehovas. Jede der Untersuchungen stützte sich auch auf Berichte von Betroffenen oder Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die von sexueller Gewalt in der Glaubensgemeinschaft berichteten.

Diese Untersuchungen, aber auch Berichte von betroffenen ehemaligen Mitgliedern der Zeugen Jehovas, die sich an die Kommission gewandt hatten (siehe "Mias Geschichte" Bilanzbericht Band 2), waren Anlass für diesen Schwerpunkt im ersten Teil der neunten Werkstattgespräche (Teil 2: Schwerpunkt Colonia Dignidad). Die Hintergründe von sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen in der Vergangenheit und in der Gegenwart innerhalb der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas sowie die Bedingungen für die Aufarbeitung sollten dabei näher beleuchtet werden. Zusätzlich stand die Frage im Mittelpunkt, wie Betroffene künftig erreicht und über die Angebote der Kommission, vertrauliche Anhörungen und schriftliche Berichte, informiert werden können.

"Die Wachtturm-Gesellschaft strebt eine Theokratie an."

Im Gespräch mit einer Mitarbeiterin einer konfessionellen Beratungsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen, die anonym bleiben möchte, wurde die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas als Theokratie geschildert, in der z.B. die Teilnahme an Wahlen abgelehnt werde, da Jehova regiere. So würden auch weitere Verbote der Wachtturm-Gesellschaft zu einer Selbstdisziplinierung der Glaubenden führen, weil sie auf das Gewissen abzielen und die Glaubenden bei Nichtbefolgung der Regeln angeblich gegen Gottes Wort verstoßen würden. Grundlage für ihre Einschätzung seien die Erfahrungen aus ihrer Arbeit. Die Mitarbeiterin berate seit vielen Jahren Aussteigerinnen und Aussteiger der Zeugen Jehovas.

In den Beratungsgesprächen bekomme sie immer wieder den Eindruck, dass auf den Glaubenden ein enormer Leistungsdruck laste. Beispielsweise könnten Zeugen Jehovas nie genug dafür tun, um sich einerseits das "Paradies zu verdienen" und zusätzlich möglichst viele andere Menschen zu retten, die sich auf dem vermeintlich falschen (Glaubens-)Weg befinden. Als spezifische Faktoren, die die psychische Gesundheit negativ beeinflussen können, seien u.a. die Außenseiterrolle auch von Kindern zu nennen, die die Regeln der Wachtturm-Gesellschaft strikt befolgen wollen. Oder auch die Zerrissenheit von Menschen, die sich zwischen dieser Religionsgemeinschaft, der sie sich neu angeschlossen haben, und ihrer Herkunftsfamilie, von der sie sich abwenden müssten, wenn diese nicht an Jehova Gott glaube.

Es wurde jedoch auch deutlich, dass der Dogmatismus in der Ausübung des Glaubens, aber auch die Unterscheidung zwischen den Glaubenden und den leitenden Personen der Gemeinschaft in Bezug auf Wissenszugänge und Entscheidungsfindungen nicht spezifisch für die Zeugen Jehovas sind. Diese fanden sich früher und finden sich zum Teil heute noch auch bei den christlichen Kirchen und bei anderen Religionen wieder.

Erfahrungsberichte über sexuellen, spirituellen und psychischen Missbrauch

Barbara Kohout ist bei den Zeugen Jehovas aufgewachsen und hat in der Gemeinschaft auch ihre Familie gegründet. Durch ihren Sohn und dessen kritische Fragen zu den Lehren der Zeugen Jehovas habe sie selbst Zweifel bekommen, was unter anderem den Kinderschutz und den Umgang mit sexueller Gewalt in der Gemeinschaft angeht. Als sie der Sache habe nachgehen wollen und gegenüber Ältesten ("Älteste" leiten die Gemeinden der Zeugen Jehovas, die wiederum "Versammlungen" genannt werden) entsprechend kritische Fragen gestellt habe, sei sie aus der Gemeinschaft ausgeschlossen worden. Daraufhin habe sie verschiedene Selbsthilfegruppen für die Beratung von Aussteigerinnen und Aussteigern gegründet.

Warum sexueller Kindesmissbrauch in einer abgeschlossenen Gemeinschaft, wie der der Zeugen Jehovas möglich sei, begründet Barbara Kohout vor allem mit einem Religionsprivileg: innerorganisatorische Disziplinarverfahren. Diese unterliegen nach Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Weimarer Reichsverfassung der Autonomie der Religionsgemeinschaften. Jehovas Zeugen stellten dieses Verfahren meist über den Kinderschutz. Das führe dazu, dass Vorfälle und Maßnahmen, die innerhalb der Organisation stattfinden, in der Regel nicht öffentlich gemacht und auch nicht öffentlich aufgeklärt würden.

Es ist meiner Meinung nach nicht nur der körperliche, sondern auch der seelische, psychische und  spirituelle Missbrauch.
Barbara Kohout

Außerdem nennt sie die aus ihrer Sicht einseitige Sexualmoral der Zeugen Jehovas und die ihrer Einschätzung nach unzureichende sexuelle Aufklärung von Mädchen und Jungen als einen Grund dafür, dass sexuelle Gewalt ermöglicht wird. Dies führe dazu, so Barbara Kohout, dass Kinder bei "sexuellen Handlungen zum Beispiel durch Älteste […], die also in Vertrauenspositionen waren und sich übergriffig verhalten haben", nicht unterscheiden konnten, wo eine Grenze überschritten wurde. "Denn man hatte ihnen versichert, das ist Liebe […]. Aber sie konnten sich mit niemandem austauschen, denn über Sexualität und erst recht über Missbrauch zu reden, ist mit großer Scham behaftet, ein Tabu.", so Barbara Kohout.

Einordung sexuellen Kindesmissbrauchs als Sünde

Als ebenfalls ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas wurde Udo Obermayer von der Kommission eingeladen, um aus seiner Sicht über die Erfahrungen von Betroffenen mit sexualisierter Gewalt in ihrer Kindheit innerhalb der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas zu berichten. Udo Obermayer war lange Zeit Mitglied und Ältester in der Glaubensgemeinschaft. Als Aussteiger gründete er 2018 JZ Help e. V. Als Vorstandsvorsitzender des Vereins setzt er sich seither für Aussteigerinnen und Aussteiger ein, insbesondere wenn sie von sexuellem Kindesmissbrauch betroffen sind. Wie die meisten Zeugen Jehovas nach dem Ausstieg hat auch Udo Obermayer zunächst sein soziales Umfeld verloren, auch seine Familie, die nach den Regeln der Gemeinschaft den Kontakt zu ihm abbrechen musste.

An die Beratungsstelle seines Vereins hätten sich bisher ca. 50 Betroffene sexuellen Kindesmissbrauchs aus dem Kontext Zeugen Jehovas gewandt. Ihre Berichte zeugten davon, dass es für betroffene Kinder oder Jugendliche keine Vertrauenspersonen gebe, weder innerhalb noch außerhalb der Gemeinschaft. Auch die Eltern seien als Ansprechpartner kaum in Frage gekommen, denn deren Möglichkeiten, ihr Kind in der Gemeinschaft zu schützen, seien begrenzt gewesen– Unrecht zu benennen und Aufklärung einzufordern ebenso. Wenn ein Fall dennoch zur Anzeige bei einem der Ältesten gekommen sei, habe das Kind vor einem Komitee, das aus drei Ältesten besteht, und ggf. auch in Gegenwart des Täters aussagen und sich oftmals dafür rechtfertigen müssen, warum es sich habe anfassen lassen und sich nicht ausreichend gewehrt habe.

Diese Ältesten waren in keiner Weise geschult gewesen, wie man mit missbrauchten Kindern umgeht.
Udo Obermayer

Udo Obermayer stellte anhand ihm bekannter Betroffenengeschichten, die unterschiedlich lange zurücklagen, den Umgang mit sexuellem Kindesmissbrauch innerhalb der Glaubensgemeinschaft aus seiner Sicht dar. Er schilderte wie in der Vergangenheit betroffenen Kindern die Schuld zugewiesen worden sei, da sie sich nach den Regeln der Zeugen Jehovas an einer Sünde beteiligt hätten. Die Einordnung der Gewalt als "Sünde" schütze einerseits Täter, weil Sünden vergeben werden können, belaste aber Betroffene außerordentlich (spiritueller Missbrauch). Allgemein seien von der Gemeinschaft keine wirksamen Maßnahmen zum Schutz vor weiteren Taten umgesetzt worden, selbst dann nicht, wenn die Personen gegenüber Kindern schon vorher übergriffig geworden seien.

Udo Obermayer erklärte, dass innerhalb der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas der Begriff des sexuellen Kindesmissbrauchs früher in ihrem Regelwerk nicht verwendet worden sei, da die Bibel diesen, anders als beispielsweise außerehelichen Geschlechtsverkehr, nicht ausdrücklich verbiete. Erst seit einiger Zeit finde sexuelle Gewalt gegen Kinder Erwähnung und werde wie außereheliche sexuelle Handlungen, sogenannter „unreiner Wandel“, als Sünde behandelt, die im Fall von Reue vergeben werden könne.

Die Pseudogrundlage für die Argumentation ist die Bibel. Darin kommt das Verbot für sexuellen Kindesmissbrauch ja gar nicht vor.
Udo Obermayer

Wenn man möchte, dass Taten sexuellen Kindesmissbrauchs durch Mitglieder der Zeugen Jehovas wirklich aufgeklärt werden, müsse man sich an staatliche Instanzen wenden, da die Gemeinschaft alles ausschließlich intern bearbeite und kläre, erläutert Obermayer. Gleichzeitig stellt er fest, dass sich nur ausstiegswillige Mitglieder an weltliche Ermittlungs- oder Strafverfolgungsbehörden wenden würden. Denn von der Leitung der Gemeinschaft sei den Mitgliedern deutlich zu verstehen gegeben worden, dass man es nicht gutheiße, wenn ermittelnde oder strafverfolgende Behörden eingeschaltet würden, - auch wenn die Leitung zum Teil nach außen hin so tue, als stünde das jedem einzelnen Mitglied frei.

Eindruck systematischer Vertuschung

Auch Wilhelm Hornung engagiert sich im JZ Help e. V. Er war als junger Mann zunächst im Inlandsmissionsdienst bis Mitte der 1990er-Jahre für die Zeugen Jehovas tätig. Nach einer Ausbildung zum Gesprächstherapeuten war er als psychologischer Berater und systemisch lösungsorientierter Coach im Umfeld der Zeugen Jehovas aktiv. Bis zu seinem offiziellen Ausstieg im Jahr 2016 hat Wilhelm Hornung eine große Anzahl von Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft beraten und gecoacht. In diesem Zusammenhang habe er auch von sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen erfahren. Gleichzeitig sei er damals als Ältester innerhalb der Gemeinschaft in einer leitenden Rolle gewesen. Anlass für seinen Ausstieg bei den Zeugen Jehovas sei insbesondere der für ihn schockierende Umgang mit bekanntgewordenen Taten sexuellen Kindesmissbrauchs gewesen, den er als damaliger Ältester nicht länger habe verantworten wollen. Aktuell arbeite er als Coach bei einem öffentlichen Dienstleister.

Aufgrund seiner langjährigen Arbeit als Coach bei den Zeugen Jehovas und in der ehemaligen Funktion als Ältester könne er bestätigen, dass es zahlreiche Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs in der Gemeinschaft gab und auch, welche Strukturen die Gelegenheiten dafür ermöglichten. Ähnlich wie in der evangelischen oder katholischen Kirche, bei der der Konfirmanden- oder Kommunionsunterricht eine der Gelegenheitsstrukturen darstelle, sei es bei den Zeugen Jehovas die Bibelstunde und der Predigtdienst. Diese seien sowohl von Ältesten als auch von allen Glaubenden der Gemeinschaft ausgeübt worden und hätten in der Regel allein mit dem Kind oder der Jugendlichen bzw. dem Jugendlichen stattgefunden. Selbst Personen, die als Täterin oder Täter sexuellen Kindesmissbrauchs den Ältesten bekannt gewesen seien, durften in der Vergangenheit ihre Hirtentätigkeit und den Predigtdienst oftmals allein mit einem Kind weiter ausführen, berichtete Wilhelm Hornung.

Daher spricht Wilhelm Hornung auch davon, dass es sich nicht um Einzelfälle handele, sondern dass innerhalb der Zeugen Jehovas ein System der Vertuschung existiere. Heute bedauert er zutiefst, dass er erst nach vielen Jahren erkannte, dass die gezielte Vertuschung System hatte und den betroffenen Kindern und Jugendlichen prinzipiell nicht geglaubt wurde.

Ich habe zehn Jahre gebraucht, um das Muster zu durchschauen. Und das Muster war, dass es angeblich alles nur Einzelfälle waren und den Betroffenen konsequent der Mund verboten wird. Es ist das typische Muster in allen Ländern.
Wilhelm Hornung

Zwei-Zeugen-Regel

Spezifisch für die Zeugen Jehovas ist die Zwei-Zeugen-Regel. Sie besagt, einem Verdacht oder Vorwurf einer Straftat oder Gewalttat soll nur durch ein internes Rechtskomitee nachgegangen werden, wenn es dafür mindestens zwei Zeugen gibt. Im Fall sexuellen Kindesmissbrauchs muss außer dem Kind also mindestens eine weitere Person bestätigen können, dass sich die sexuelle Gewalt durch den vom Kind benannten Täter oder die Täterin ereignet hat. Wenn das nicht möglich ist, sind die Ältesten angewiesen, die Angelegenheit in Jehovas Hände zu geben. Das bedeutete in der Praxis, sie haben nichts getan, um der Sache weiter nachzugehen, dem Kind wurde nicht geglaubt, es bekam keine Hilfe und hatte nach den Regeln der Zeugen Jehovas ab sofort darüber zu schweigen. Das habe auch für die Eltern gegolten. Wenn sie die Sache nicht auf sich hätten beruhen lassen wollen und weiter nachgefragt hätten, galten sie als rebellisch und der Familie habe der Ausschluss aus der Gemeinschaft gedroht.

Sowohl Udo Obermayer als auch Wilhelm Hornung übten massive Kritik an der Zwei-Zeugen-Regel in Verbindung mit sexuellem Kindesmissbrauch, weil sie den Verantwortlichen der Glaubensgemeinschaft wissentlich als Scheinargument gedient habe, um die sexuelle Gewalt systematisch zu negieren und zu vertuschen.

Die Zwei-Zeugen-Regel kommt der Wachtturm-Gesellschaft sehr entgegen, wenn es um Kindesmissbrauch geht. Da das Kind in aller Regel keine zwei Zeugen hat, ist die Untersuchung auch prompt beendet. Und das halte ich an der Stelle für äußerst perfide. Und das ist Standard, also gängige Praxis.
Wilhelm Hornung

Politischer Handlungsbedarf und Angebote der Kommission

Die drei ehemaligen Zeugen Jehovas sehen an verschiedenen Stellen auch politischen Handlungsbedarf, um Kinder und Jugendliche in der religiösen Gemeinschaft besser zu schützen. Genannt wurde die Modifizierung von Artikel 140 Grundgesetz, der die Rechte der Religionsgemeinschaften über den grundrechtlichen Schutz der Betroffenen stellt. Zudem benötigt es mehr staatliche Durchgriffsrechte und der Gesetzgeber muss den Zugang zu den Akten der Zeugen Jehovas per Gesetz schaffen. Damit sich weitere Betroffene und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen bei der Aufarbeitungskommission melden und über ihre Erfahrungen berichten, braucht es von ihr niedrigschwellige Angebote.

Schwerpunkt Zeugen Jehovas

Die Kommission möchte herausfinden, welche Bedingungen sexuellen Kindesmissbrauch bei den Zeugen Jehovas in der Vergangenheit ermöglicht haben und ob es Strukturen gibt, die Aufklärung und Aufarbeitung verhindern. Dafür sind die Geschichten von Betroffenen sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen von großer Bedeutung. Sie haben die Möglichkeit, wie auch Personen aus anderen Bereichen, im Rahmen einer vertraulichen Anhörung oder als schriftlicher Bericht sich der Kommission mitzuteilen.

Am 29. September 2020 führte die Kommission eine Online-Informationsveranstaltung für Interessierte aus dem Bereich der Zeugen Jehovas durch. Die Kommission stellte sich und ihre Arbeit vor und informierte darüber, welche Möglichkeiten es gibt, ihr gegenüber zu berichten.


Hintergrundinformationen zur Gemeinschaft der Zeugen Jehovas und zu ihrem Umgang mit sexuellem Kindesmissbrauch

Die Gruppierung aus acht Männern bildet die geistliche Leitung aller Zeugen Jehovas weltweit. Sie nennt sich "leitende Körperschaft" und tagt in der Weltzentrale in Warwick/Staat New York. Sie setzt die Glaubenslehren der Wachtturm-Gesellschaft (WTG) auf Grundlage der eigenen Bibel (Neue-Welt-Übersetzung) fest und sieht sich selbst dabei als von Gott geleitet. Die Gemeinden der Zeugen Jehovas werden "Versammlungen" genannt und von "Ältesten" geleitet. Nur Männer dürfen diese Funktion ausüben.

In Deutschland hat die religiöse Gemeinschaft ca. 150.000 Mitglieder. Als typische Verhaltensweisen gegenüber Aussteigerinnen und Aussteigern sind bekannt: Ausschluss aus der Gemeinschaft, die bei vielen Mitgliedern das gesamte familiäre und soziale Umfeld bildet; Vorwurf der Verleumdung; soziale Ächtung.

Die Europazentrale (Bethel) befindet sich in Selters/Taunus. Seit 2006 wurde den Zeugen Jehovas in allen Bundesländern der Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt.

Der "Wachtturm" und "Erwachet" sind die religiösen Zeitschriften der Zeugen Jehovas. Sie haben weltweit die gleichen Inhalte und erscheinen in mehr als 300 Sprachen.

Der Umgang der Zeugen Jehovas mit sexuellem Kindesmissbrauch wurzelt vor allem in ihrer Religion, auf die jedes Handeln zurückgeführt und gestützt wird. Sünden werden bei bekundeter Reue vergeben. Sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen wurde früher in erster Linie als "Sünde" eingeordnet und nicht deutlich als Straftat benannt.

Die Leitung der Zeugen Jehovas hat die Ältesten erst seit einiger Zeit und nur für den Fall einer staatlichen Anzeigepflicht angewiesen, Behörden von Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs zu unterrichten. In Deutschland gibt es zwar keine Pflicht zur Anzeige, aber klare Empfehlungen, wann die Behörden einzubeziehen sind, z.B. die Leitlinien zur Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden des Bundesjustizministeriums. Nach neueren Weisungen sollen sich Älteste im Fall eines Missbrauchsvorwurfs an die Landeszentrale der Zeugen Jehovas wenden. Interne Vorgänge der Gemeinschaft werden grundsätzlich geheim gehalten.

Die Aufklärung sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen wird u.a. durch die Zwei-Zeugen-Regel erschwert. Dabei muss außer dem Kind oder der Jugendlichen bzw. dem Jugendlichen mindestens eine weitere Person bestätigen, dass sich der Missbrauch ereignet hat. Dieser Nachweis kann kaum erbracht werden, da es bei sexuellem Kindesmissbrauch in der Regel keine Zeugen gibt. Auch unter Berücksichtigung neuerer Weisungen, insbesondere ab 2016, findet die Zwei-Zeugen-Regel weiterhin Anwendung.

In der Vergangenheit mussten Betroffene, nachdem sie von sexualisierter Gewalt gegenüber ihrem Ältesten berichtet hatten, nochmals vor einem ausschließlich aus männlichen Ältesten bestehenden Gremium in Anwesenheit des Täters berichten, wenn dieser die Beschuldigungen vorher bestritten hatte. Die von der Gemeinschaft angeordneten Konsequenzen für begangene Taten waren in der Vergangenheit milde. Beispielsweise durften sich Täter in Versammlungen nicht mehr zu Wort melden, ihnen drohte in der Regel aber kein Ausschluss aus der Gemeinschaft, wenn sie nach außen hin bereuten. Eltern wurden nicht informiert und konnten somit ihre Kinder nicht schützen.

Die Aufklärung von Taten sexueller Gewalt und auch der Zugang zu Betroffenen wird durch die Abschottung von der Welt außerhalb der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas erschwert. Externen Hilfsangeboten von Beratungsstellen oder Behörden gegenüber wird eine große Skepsis entgegengebracht.


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