1 Jahr Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs – Bilanz und Ausblick
06.12.2016 Die Kommission zieht zu ihrem einjährigen Bestehen eine erste Bilanz zum Stand der bisher durchgeführten Anhörungen und den daraus gewonnenen Erkenntnissen. Die meisten Betroffenen melden sich bei der Kommission, um durch das Erzählen ihrer Geschichte Kinder zukünftig besser zu schützen.
Berlin, 6.10.2016. Im Januar 2017 wird die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs ein Jahr im Amt sein. Aus diesem Anlass zieht die Kommission eine erste Bilanz und gibt einen Ausblick auf die nächsten Schwerpunkte.
Die Kommission verfolgt u.a. das Ziel, Ausmaß, Art und Folgen der sexuellen Gewalt gegen Mädchen und Jungen aufzuzeigen. Sie will Menschen anhören, die sexuellen Missbrauch in Kindheit oder Jugend erlebt haben und schafft somit die Möglichkeit, auch verjährtes Unrecht mitzuteilen, jenseits der Gerichtssäle und Therapieräume. Dafür stehen ihr verschiedene Formate zur Verfügung: vertrauliche Anhörungen, öffentliche Hearings, schriftliche Berichte, Werkstatt- und Fachgespräche sowie Forschungsprojekte. Vier Forschungsprojekte sind bereits gestartet. Werkstattgespräche mit Betroffenen, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie weiteren Expertinnen und Experten wurden zu den Schwerpunktthemen Anhörungen, Archiv und Recherche durchgeführt.
Der Kommission liegen bereits 415 Anmeldungen für vertrauliche Anhörungen sowie 67 schriftliche Berichte vor. Zudem wurden etwa 200 Telefonate über das Infotelefon Aufarbeitung geführt. Die vertraulichen Anhörungen der Kommission sind Ende September gestartet. Bisher wurden 38 Anhörungen durchgeführt. Damit möglichst viele Betroffene sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen angehört werden können, hat die Kommission – die aus sieben ehrenamtlichen Mitgliedern besteht – ein zusätzliches Anhörungsteam gebildet. Diesem gehören zehn Rechtsanwältinnen und ein Rechtsanwalt an. Seit Ende Oktober führen sie deutschlandweit vertrauliche Anhörungen durch.
Sabine Andresen, Vorsitzende: „Ich bewundere die Kraft und den Mut von Betroffenen, die sich bei uns melden und ihre Geschichte erzählen.“
Aus den bisher durchgeführten Anhörungen gewannen die Kommissionsmitgliedern den Eindruck, dass die Mehrzahl der bisher angehörten Betroffenen sich sehr sorgfältig auf das Gespräch vorbereit. Sie sprechen offen und reflektiert und haben ihre Geschichte bereits gut aufgearbeitet und häufig eine Therapie durchlaufen. Trotz allem was sie erlebt haben, strahlen viele eine große Kraft aus. Eine Erkenntnis aus den vertraulichen Anhörungen ist, dass die Betroffenen dadurch eine Anerkennung ihres Leids erleben, die ihnen bisher seitens der Gesellschaft verwehrt blieb. Die Betroffenen betonen, wie wichtig die Erfahrung ist, dass Ihnen zugehört und an ihrer Geschichte nicht gezweifelt wird. Anders zum Beispiel als dies beim Verfahren im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) häufig der Fall ist; hierzu äußern sich viele Betroffene sich sehr kritisch.
Als Grund für ihre Entscheidung an einer vertraulichen Anhörung teilzunehmen, gaben die meisten Betroffenen an, dass sie mit ihren Erfahrungen und ihrer Geschichte dabei helfen wollen, Kinder zukünftig besser zu schützen.
Die zum heutigen Zeitpunkt vorliegenden Anmeldezahlen für vertrauliche Anhörungen lassen vermuten, dass diese bis Mitte 2017 weit über 500 ansteigen werden. Die Kommission möchte ihr Versprechen halten, bis zum Ende ihrer Amtszeit alle angemeldeten Betroffenen, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen anzuhören. Mit den bisherigen finanziellen Mitteln wird das nicht zu realisieren sein. Wenn die Kommission nicht nur ein Feigenblatt der Politik sein soll, benötigt sie auch eine rechtliche Grundlage für Akteneinsicht und um Vorladungen aussprechen zu können.
Die Schwerpunkte in 2017 werden das erste öffentliche Hearing zum Kindesmissbrauch im familiären Kontext am 31. Januar2017 sein sowie Missbrauch in der DDR. Des Weiteren wird im Sommer 2017 der Zwischenbericht erscheinen.
Hintergrundinformation zur Kommission:
Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs hat auf der Grundlage des Beschluss des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 2015 am 26. Januar 2016 die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs berufen. Die Kommission untersucht sämtliche Formen von sexuellem Kindesmissbrauch in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR. Sie ist international die erste Kommission, die sexuellen Kindesmissbrauch auch durch Familien und nicht nur in institutionellen Einrichtungen in den Blick nimmt. Die Kommission will die Dimensionen der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche aufzeigen und damit eine breite politische und gesellschaftliche Debatte zu einem Thema anstoßen, das noch immer tabuisiert wird. Gerade in der Vergangenheit ist Missbrauch vielfach vertuscht und geleugnet worden, Kindern wurde nicht geglaubt, sie wurden nicht gehört. Deshalb ist die Kernaufgabe der Kommission, Betroffene anzuhören und ihnen zuzuhören, so wichtig. Daher lautet auch die Leitidee der Öffentlichkeitsarbeit: „Geschichten, die zählen“.
Betroffene und andere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die an einer vertraulichen Anhörung teilnehmen möchten, können sich telefonisch (0800 4030040 – anonym und kostenfrei), per E-Mail oder Brief bei der Kommission melden.
Pressekontakt
Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs
Kirsti Kriegel
Telefon: +49 (0)30 18555-1571
Fax: +49 (0)30 18555-4 1571
E-Mail