Kommission veröffentlicht ersten Zwischenbericht: Familie im Fokus
14.06.2017 Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat heute ihren ersten Zwischenbericht im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt. Neben der Dokumentation ihrer Arbeit beinhaltet der Bericht erste Erkenntnisse aus vertraulichen Anhörungen und schriftlichen Berichten – Geschichten von Betroffenen, die in ihrer Kindheit sexuellem Missbrauch ausgesetzt waren, hauptsächlich in der Familie.
Rund 1000 Betroffene wollen angehört werden
Rund 1000 Betroffene und weitere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen haben sich seit Mai 2016 für eine vertrauliche Anhörung bei der Kommission gemeldet. Davon konnten bisher 200 Personen angehört werden. Zusätzlich sind 170 schriftliche Berichte eingegangen. Bei rund 70 Prozent der Betroffenen, die sich bisher an die Kommission gewandt haben, fand der Missbrauch in der Familie oder im sozialen Nahfeld statt, gefolgt von Missbrauch in Institutionen, durch Fremdtäter/Fremdtäterinnen und rituellen/organisierten Missbrauch.
Schwerpunkt Familie
Einen ersten Schwerpunkt ihrer Arbeit hat die Kommission mit dem Thema sexueller Missbrauch in der Familie gesetzt und damit auch international Neuland betreten. Bisherige Erkenntnisse: Kinder haben oft keine oder erst spät Hilfe erfahren, weil Familienangehörige zum Teil lange etwas von dem Missbrauch wussten, sie dennoch nicht davor schützten. Hilfe von außerhalb der Familie erfahren Betroffene selten, weil die Familie als Privatraum gesehen wird. Neues Licht fällt auch auf die Rolle der Mitwissenden, insbesondere die Mütter.
„Die Einrichtung der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs war eine unverzichtbare Entscheidung der Politik. Die vertraulichen Anhörungen zeigen uns, wie wichtig Anerkennung von Leid und Verantwortungsübernahme der Gesellschaft sind. Wir sehen, dass insbesondere Betroffene aus dem familiären Bereich selten Hilfe erfahren, denn die Familie wird als Privatraum gesehen. Je mehr wir wissen und je häufiger darüber gesprochen wird, desto früher können Signale erkannt werden und Missbrauch verhindert werden.“
Sabine Andresen, Vorsitzende der Kommission
Mehrfachbetroffenheit auffällig
In den Anhörungen und schriftlichen Berichten wird auch deutlich, dass viele Menschen mehrfachbetroffen sind. Sie erlebten sexuelle Gewalt durch verschiedene Täter oder Täterinnen oftmals auch in verschiedenen Bereichen. So wird zum Beispiel von sexuellem Missbrauch in der Familie berichtet und von parallel oder später stattfindendem Missbrauch im Heim oder in der Schule. Oder es findet Missbrauch in der frühen Kindheit durch den Großvater und in der späteren Kindheit durch den Vater statt. Auch der Zugang zu rituellen oder organisierten Gewaltstrukturen erfolgt nicht selten über die Familie.
Weitere zentrale Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht: Die Anhörungen stellen für Betroffene eine Anerkennung erlittenen Unrechts dar und ermöglichen ihnen die wichtige Erfahrung, dass ihnen geglaubt wird. Sowohl in den Anhörungen als auch in den schriftlichen Berichten ist ein großes und sehr bedrückendes Thema die Armut als eine Folge sexuellen Kindesmissbrauchs. Vielen Betroffenen fehlt es an den nötigen Hilfen, seien es Therapien oder finanzielle Entschädigungen. Es besteht längst noch kein Bewusstsein dafür in der Gesellschaft, in welchem Ausmaß sexueller Kindesmissbrauch das spätere Leben beeinträchtigen kann.
Die hohe Anzahl der Anmeldungen und die Vielfalt der Tatkontexte zeigen, dass die Aufarbeitung auch nach März 2019, also über die bisherige Laufzeit der Kommission hinaus, weitergehen muss.
Der Zwischenbericht als PDF.