Ergebnisbericht zum Kentler-Projekt: Behörden und Institutionen müssen bundesweit strukturelles Versagen bei der Unterbringung von Pflegekindern aufarbeiten
15.06.2020 Statement der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs zum Ergebnisbericht zu Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe
Der heute von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie veröffentlichte Ergebnisbericht „Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe“ der Universität Hildesheim zeigt die Verantwortung von Senatsverwaltung und Landesjugendamt, von wissenschaftlichen Institutionen und Fachgesellschaften, von Jugendämtern in Berlin und vermutlich ganz Westdeutschland für die Unterbringung von Pflegekindern bei Sexualstraftätern auf. Das Hildesheimer Forschungsteam bezeichnet die jahrzehntelange Praxis rund um das sogenannte „Kentler-Experiment“ als „Kindeswohlgefährdung in öffentlicher Verantwortung“.
Für die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs und ihre Vorsitzende, Prof. Dr. Sabine Andresen, geht es hier um mehr als die Person Helmut Kentler:
„In dem Ergebnisbericht wird strukturelles Versagen des Landesjugendamtes und zweier Bezirksjugendämter bei der Unterbringung von Pflegekindern deutlich. Hinweisen auf Gewalt durch Pflegeväter wurde nicht nachgegangen.“
Der Bericht verdeutlicht darüber hinaus, dass Pflegekinder vom Land Berlin aus an Pflegestellen oder Einrichtungen in Westdeutschland vermittelt wurden und dort ebenfalls verschiedenen Formen der Gewalt ausgeliefert waren. „Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs unterstützt nachdrücklich den Vorschlag, dass die Jugendministerkonferenz eine bundesweite Aufarbeitung zu Gewaltverhältnissen im Pflegekinderwesen und der Heimerziehung auf den Weg bringen muss, um die vorliegenden Hinweise auf ein weit verzweigtes Netzwerk weiter aufarbeiten zu können. Hier liegt die Verantwortung klar bei Politik und Behörden.“, so Prof. Dr. Sabine Andresen.
Das Wirken Helmut Kentlers in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe wäre ohne ein Netzwerk in Behörden, Jugendämtern, aber auch pädagogischen und wissenschaftlichen Institutionen nicht möglich gewesen. Das Hildesheimer Team verweist auf Verbindungslinien zum Max-Planck-Institut, zur FU-Berlin, zur PH Berlin und vor allem zum pädagogischen Seminar der Universität Göttingen. Diese wissenschaftlichen Institutionen ebenso wie die einschlägigen Fachgesellschaften müssen ihrerseits klären, welche Aufarbeitungsprozesse nötig sind.
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat 2019 Empfehlungen für institutionelle Aufarbeitung veröffentlicht und betont darin die Rechte von Betroffenen gegenüber Institutionen und Behörden. „Ohne die Beteiligung der Betroffenen ist keine umfassende Aufarbeitung möglich. Darum ist es nötig, dass die Berliner Senatsverwaltung, aber auch Jugendämter in der Bundesrepublik, Betroffene bitten, sich bei ihnen zu melden. Dafür müssen dringend die Voraussetzungen geschaffen werden. Die Betroffenen haben ein Recht auf Aufarbeitung.“, so Andresen.
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