Archive und sexueller Kindesmissbrauch


30.06.2022 - Aufarbeitungskommission veranstaltet Tagung zur Bedeutung von Archiven und Akten für die Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs


Zeugnisse der Vergangenheit sind elementar für die gesellschaftliche Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend. Gleichzeitig sind Archive in demokratischen Rechtsstaaten Gedächtnisorte der Gesellschaft, auch um Unrecht zu erinnern. Nicht zuletzt sind Unterlagen in Archiven für Betroffene sexuellen Kindesmissbrauchs wichtig für ihre individuelle Aufarbeitung und für die Vergewisserung der eigenen Biografie.

Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs veranstaltet heute eine Tagung, mit der sie ein Bewusstsein für den Umgang mit diesen sensiblen Dokumenten zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche schaffen möchte. Dabei geht es um Fragen wie: Wie kommt eine Akte ins Archiv? Wer hat die Macht über die Quellen? Was bedeutet es, als erwachsener Betroffener Akten über die eigene Kindheit zu lesen? Wie kann mit Hilfe von Archiven aufgearbeitet werden? Bedarf es neuer gesetzlicher Regelungen, um Unterlagen zu sexuellem Kindesmissbrauch langfristig zu sichern? Erfordert unsere Erinnerungskultur ein Dokumentationszentrum, um Zeugnisse des erlittenen Unrechts zu bewahren?

Darüber diskutieren neben Betroffenen weitere Expertinnen und Experten aus den Bereichen Archiv- und Rechtswissenschaft, Forschung und Politik, u.a. Prof. Dr. Lars Castellucci, Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion. Die Veranstaltung findet mit internationaler Beteiligung statt: aus den USA Terence McKiernan, Gründer von BishopAccountability.org, dem umfangreichen digitalen Archiv über sexuellen Kindesmissbrauch in der Kirche, sowie aus der Schweiz u.a. Prof. Dr. Luzius Mader, der sich als Delegierter für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen dafür eingesetzt hat, dass es in der Schweiz heute ein eigenes Aufarbeitungsgesetz gibt.

Prof. Dr. Heiner Keupp, Mitglied der Kommission, verweist auf eine wesentliche Funktion von Archiven für die Aufarbeitung, für die weitgehend noch ein Bewusstsein fehlt: „Warum werden in Deutschland Archive oft als nicht zugänglich wahrgenommen? Sie werden häufig wie Geheimtresore gehandelt, in die Institutionen keinen Einblick gewähren wollen. Der Zugang zu Archiven wird mit juristischen Begründungen verwehrt, deren Berechtigung oft nicht nachvollziehbar ist. Hier braucht es einen Paradigmenwechsel, und dieser zeichnet sich teilweise schon ab: Archive, die aufarbeiten und sich als Serviceeinrichtungen für Bürgerinnen und Bürger verstehen.“

Wie wichtig es ist, von anderen und ihren Erfahrungen zu lernen, betont Kommissionsmitglied Matthias Katsch: „Es gibt diese guten Beispiele, etwa aus der Schweiz oder den USA.“ Aus eigener Erfahrung weiß er, dass der Zugang zu Akten im Zusammenhang mit Missbrauchstaten zentral ist für individuelle und institutionelle Aufarbeitungsprozesse: „Ich habe 2010 am Anfang des sogenannten Missbrauchsskandals erlebt, wie wichtig es war, Zugang zu Unterlagen über den eigenen Fall zu erhalten. Da sind Dokumente zum Teil im Ordensarchiv in München erhalten geblieben, andere liegen bis heute unerreichbar im Vatikan. Neben den Aussagen von Betroffenen ist der Umgang mit Aufzeichnungen entscheidend für den Erfolg von Aufarbeitungsprozessen.“

Die Möglichkeiten von Archiven und Akten zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs sollen wirksamer genutzt werden können. Darum hat sich die Kommission zum Ziel gesetzt, Empfehlungen zur Sicherung und zum Zugang von Unterlagen über sexuellen Kindesmissbrauch und zur Beratung von Betroffenen oder anderen interessierten Personen zu entwickeln. Die Tagung soll die notwendige Grundlage für die Empfehlungen schaffen.

Die Tagung „Aufarbeitung, Akten, Archive – Zum Umgang mit sensiblen Dokumenten“ wird heute, am 30. Juni 2022 von 10-17.15 Uhr per Livestream auf der Internetseite der Kommission übertragen: www.aufarbeitungskommission.de/tagung-archive/


Pressekontakt

Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs

Kirsti Kriegel
Telefon: +49 (0)30 18555-1571
Fax: +49 (0)30 18555-4 1571
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