Betroffene sprechen öffentlich über sexualisierte Gewalt in der Schule


23.03. 2022 - Im Fokus des fünften öffentlichen Hearings der Kommission stand die Schule – als Tatort, an dem sexueller Kindesmissbrauch stattfindet, aber auch als Schutzraum. Zum Abschluss wandten sich die Beteiligten mit einem Forderungskatalog an die Konferenz der Kultusministerinnen und Kultusminister.


Das 5. Öffentliche Hearing „Sexueller Kindesmissbrauch und Schule“ hat Betroffenen eine Möglichkeit gegeben, von ihren Erfahrungen zu berichten. Darüber hinaus wurde gemeinsam mit ihnen sowie Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Praxis und Wissenschaft erörtert: Welche Bedingungen haben Missbrauch an Schulen ermöglicht? Durch welche Strukturen und Haltungen wurde Gewalt verschwiegen und Aufklärung verhindert? Wurde Kindern und Jugendlichen geholfen?

Es haben sich rund 160 Betroffene an uns gewandt, die sexuelle Gewalt in der Schule erlebt haben. Eine erste Auswertung zeigt, dass Täter oftmals unbehelligt bis zu ihrer Pension im Dienst geblieben sind.

Brigitte Tilmann, Mitglied der Kommission

Schulen hätten eine Verantwortung dafür, dass Kinder und Jugendliche ohne Gewalt aufwachsen, fuhr Brigitte Tilmann fort. Schulbehörden und Schulpolitik hätten die Verantwortung, solche Fälle aufzuarbeiten und damit das Recht der Betroffenen auf Aufarbeitung anzuerkennen.

Die sexuellen Übergriffe, von denen Betroffene und einige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten, gingen meist von Lehrerinnen und Lehrern, vereinzelt von der Schulleitung oder anderem Schulpersonal aus. Der Missbrauch fand im Büro des Direktors, in der Bibliothek, im Krankenzimmer, aber auch während des Unterrichts oder bei Lehrern zu Hause statt. Eine erste Auswertung zeigt, dass alle Schultypen vertreten sind: neben Grundschulen auch Gymnasien, Realschulen und Gehörlosenschulen. Die Fälle gehen bis in die 1960er-Jahre zurück; eine Reihe von Übergriffen ereignete sich erst in den 1990er- und 2000er-Jahren.

In vielen Anhörungen und Berichten von Betroffenen wird zudem deutlich, dass die Schule auch ein wichtiger Schutzraum sein kann, egal in welchem Bereich Kinder und Jugendliche sexuelle Gewalt erlebt haben. Betroffene schildern immer wieder, dass sie in der Schule Hilfe gesucht haben oder hofften, dort Hilfe zu finden.

Dieses Potential der Schulen wurde in der Vergangenheit jedoch nicht ausreichend genutzt. Immer wieder gab es vertane Möglichkeiten, das Leid der Kinder frühzeitig zu beenden. Etwa weil ihnen nicht geglaubt wurde, wenn sie sich einer Lehrerin, einem Lehrer anvertrauten oder weil Verantwortliche Hinweise und Signale nicht ernst genommen haben und ihnen nicht nachgegangen sind. Eine erste Auswertung macht mangelndes Wissen von Lehrerinnen und Lehrern sowie fehlende unterstützende Strukturen und Handlungsleitlinien sichtbar. Aber auch eine Abwehr des Themas und eine große Zurückhaltung werden deutlich, sich beispielsweise in den Privatraum Familie einzumischen oder einem Verdacht gegenüber einem Kollegen oder einer Kollegin nachzugehen.

Aus dem Kreis der Teilnehmenden des Hearings wurde ein Forderungskatalog erarbeitet, mit dem sich die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs an die Kultusministerkonferenz wendet:

1.Verpflichtende Fortbildungen für Lehrkräfte und Schulleitungen zum Thema sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche einzuführen.

2. Eine verbindliche Einführung von Schutzkonzepten mit dauerhafter Partizipation von Schülerinnen und Schülern in allen Schulgesetzen zu verankern.

3. Dafür Sorge zu tragen, dass Schulen für betroffene ehemalige Schülerinnen und Schüler Verantwortung übernehmen und sich aktiv um Aufarbeitung bemühen und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Die Mitschnitte des Hearings werden in Kürze in der Mediathek veröffentlicht. 


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