Ausstellung zur Aufarbeitung in emanzipatorischen Bewegungen eröffnet
05.10.2023 – Das Schwule Museum Berlin hat in Zusammenarbeit mit dem Archiv der deutschen Jugendbewegungen eine Ausstellung über sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in schwulen, lesbischen und queeren Bewegungen sowie in Jugendbewegungen eröffnet. Die Aufarbeitungskommission gratuliert beiden Institutionen zu dieser Pionierarbeit im Sinne der Aufarbeitung.
Mehr als 80 Gäste, darunter Betroffene, Freunde des Museums und Mitglieder der Aufarbeitungskommission, verfolgten bei der Vernissage gebannt die Eröffnungsworte der Kurator*innen. Denn das Schwule Museum (SMU), und das Archiv der Deutschen Jugendbewegungen (AdJb) mussten sich mit einem schwierigen Erbe auseinandersetzen. In ihren Archiven befinden sich Zeugnisse der Rechtfertigung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Sowohl in der Schwulenbewegung als auch in der Wandervogel- und Pfadfinderbewegung gab es Aktivist*innen, in der Mehrzahl Männer, die sich für eine Entkriminalisierung von sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern einsetzten.
An erster Stelle steht die Frage, wie eine Aufarbeitung des Tatbestands gelingen kann, dass pädosexuelle politische Agitation in vielen von der schwulen Emanzipationsbewegung besetzten Räumen Unterstützung und Zustimmung erhielt.
Birgit Bosold, Kuratorin
Die Ausstellung möchte diese Verstrickungen bearbeiten. „In der Jugendbewegung hatte sexualisierte Gewalt von Erwachsenen gegen Heranwachsende quasi von Beginn an einen Platz. Dieser Teil der Geschichte ist viel zu lange beschwiegen worden, wenngleich er ‚hinter vorgehaltener Hand‘ immer bekannt war“, erklärte Susanne Rappe-Weber vom AdJb. Ein wichtiges Anliegen war es den Kurator*innen, die in den Archiven präsente, sexualisierende Bildsprache nicht zu reproduzieren und dennoch zu zeigen, in welchem Ausmaß sexuelle Ausbeutung verharmlost wurde. Gleichzeitig sollten die Erfahrungen und Sichtweisen Betroffener in den Vordergrund rücken, erklärte Bosold.
Das ist mit der Ausstellung gelungen, die in zwei Räumen ausführlich die fortdauernden Überschneidungen zwischen emanzipatorischen Bewegungen vom Wandervogel Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ausschluss der Pädosexuellen aus der International Gay and Lesbian Association in den 1990-ern beschreibt. Dabei war es den Kurator*innen wichtig zu betonen, dass die Ausstellung keinen Abschluss, sondern vielmehr einen Auftakt zur Aufarbeitung darstelle. Der Schritt sei für das SMU ein Wagnis, betonte Brigitte Oytoy vom Vorstand. Denn es gelte, der Vielfältigkeit schwuler Emanzipationsbewegungen gerecht zu werden. Andererseits müsse das klassische und verstärkt von rechten Strömungen genutzte Ressentiment vom schwulen „Jugendverführer“ zurückgewiesen werden. Kurator Volker Woltersdorff betonte in einer emotionalen Rede, dass es vor allem der Beharrlichkeit von Vorstandsmitglied Birgit Bosold zu verdanken sei, dass die Ausstellung gegen Widerstände geöffnet werden konnte.
Da die Aufarbeitungskommission für die Ausstellung inhaltliche und finanzielle Unterstützung leistete, hielt auch Kommissionsmitglied Matthias Katsch ein Grußwort. Die Kommission sei dankbar dafür, dass die Ausstellungsmacher*innen das Projekt vorangetrieben hätten. Denn auch die Unterdrückungs- und Verfolgungsgeschichte der schwulen Minderheit in Deutschland rechtfertige es in keinem Falle, wegzuschauen.
Das Schweigen über Gewalt auch in der Emanzipationsbewegung muss durchbrochen werden. Das schulden wir den Opfern, aber damit leisten wir auch einen wichtigen Beitrag dazu, dass sexualisierte Gewalt, Missbrauch von Macht und von Menschen in der Community ansprechbar und so auch überwunden werden können.
Matthias Katsch
Die Ausstellung „Aufarbeiten: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Zeichen der Emanzipation“ läuft bis zum 26. Februar 2024 im Schwulen Museum Berlin. Mehr Informationen hier.